Das Leben von Wilhelm Liebknecht
Kindheit, Jugend (1826 - 1842)
Nach dem Tod seiner Eltern, dem hessischen Regierungsbeamten Ludwig Christian Liebknecht und dessen Frau Katharina (geb. Hirsch) wuchs der zu diesem Zeitpunkt 6-jährige Wilhelm mit den Geschwistern ab 1832 bei seinem Vormund, dem Kandidaten der Theologie Karl Wilhelm Oßwald (1789-1845) und Freunden des Vaters in seinem Geburtsort Gießen auf. Dort besuchte er auch die Schule, die er 1842 mit Gymnasialabschluss beendete.
Die von den verwaisten und mittellosen Kindern in der Familie des Vormunds als Widerspruch empfundene Diskrepanz zwischen christlicher Moral (z.B. Nächstenliebe) und fehlender Fürsorge trug bei den Brüdern Wilhelm und Louis zu einer sich langfristig festigenden negativen Einstellung gegenüber Kirche und religiösem Glauben bei.
Das Schicksal von Wilhelm Liebknechts Großonkel mütterlicherseits, des evangelischen Pfarrers Friedrich Ludwig Weidig, beeinflusste bereits relativ früh die soziale und politische Einstellung des jungen Liebknecht und wirkte sich prägend auf sein späteres Leben aus. Weidig hatte 1834 mit dem Schriftsteller und Dramatiker Georg Büchner die kurz nach ihrem Erscheinen behördlich verbotene gesellschafts- und sozialkritische Flugschrift „Der Hessische Landbote“ unter der Überschrift „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“ veröffentlicht und verbreitet. 1837 hatte sich Weidig - nach zwei Jahren Untersuchungshaft in Darmstadt - den wiederholt an ihm begangenen Folterungen durch Selbstmord entzogen.
Studium und Beteiligung an der Märzrevolution (1843–1849)
Wilhelm Liebknecht studierte von 1843 bis 1846 zuerst in seiner Heimatstadt Gießen Philologie und evangelische Theologie, dazwischen auch ein Semester Philosophie in Berlin. Im Herbst 1846 schrieb er sich für das Fach Philosophie an der Universität Marburg ein. Neben dem Studium absolvierte er zwei Handwerkerlehren: In Wieseck bei Gießen lernte er Zimmermann, in Marburg Büchsenmacher. Dies, so nahm er an, würde ihm bei seiner zeitweilig aus politischen Gründen erwogenen Auswanderung nach Amerika helfen, vor Ort zurecht zu kommen. Mit dieser Erwägung stand Liebknecht in seiner Familie nicht allein. Schließlich war es jedoch lediglich sein Bruder Louis, der das Vorhaben 1851 mit seiner Auswanderung in die USA, wo er auf einer Farm in Michigan lebte, umsetzen sollte.
Als Student kam Wilhelm Liebknecht noch zur Zeit des Vormärz in Kontakt mit der studentischen Verbindungsbewegung, die sich damals für demokratische Rechte und die nationale Einigung des Deutschen Bundes in einem gesamtdeutschen Nationalstaat einsetzte. Viele der in Corps und Burschenschaften organisierten Studenten standen zu dieser Zeit – in Folge der repressiven Karlsbader Beschlüsse von 1819 häufig aus dem illegalen Untergrund heraus – in Opposition zur seit dem Wiener Kongress von 1814/1815 herrschenden reaktionären Restaurationspolitik, die wesentlich vom österreichischen Staatskanzler Fürst von Metternich geprägt war.
Dabei war Liebknecht eher von den frühsozialistischen Vorstellungen Saint-Simons als von nationalstaatlichen Ideen beeinflusst, was ihn nicht davon abhielt, studentischen Corps beizutreten. So trat er 1846 in Gießen in das Corps Rhenania ein. In Marburg wurde er am 12. Januar 1847 in das Corps Hasso-Nassovia aufgenommen. Danach war er auch an der Gründung eines nur kurzzeitig bestehenden Corps Rhenania in Marburg beteiligt.
Anfang August 1846 trat Liebknecht erstmals als einer der Anführer und Sprecher der Gießener Studenten ins Licht der Öffentlichkeit. Eine polizeiliche Maßnahme gegen einen alkoholisierten Studenten eskalierte so weit, dass eine Abteilung Soldaten aus Butzbach zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung nach Gießen verlegt wurde. Daraufhin machten die Studenten mit Unterstützung der Bürger einen "Auszug" (demonstrativ-symbolische Universitätsstandort-Verlegung) zur zehn km nördlich der Stadt gelegenen Burg Staufenberg. An den Verhandlungen mit der Universitätsleitung über die Bedingungen der Rückkehr nach Gießen waren neben anderen auch Liebknecht und Louis Büchner, ein jüngerer Bruder Georg Büchners beteiligt. Die Studentenrevolte sorgte auch für überregionale Resonanz. Selbst die britische Zeitung The Times machte die Studentenmeute in Gießen zum Thema eines Leitartikels.
Liebknecht sah sich veranlasst, Marburg noch vor Abschluss seines Studiums im Sommer 1847 fluchtartig zu verlassen, da ihm wegen seiner systemoppositionellen politischen Aktivitäten polizeiliche und juristische Repressalien drohten. Ein Freund hatte ihn vor einer anstehenden Verhaftung gewarnt.
Zusammen mit einem anderen Freund namens Maus verließ er in den ersten Julitagen 1847 Gießen mit der Absicht, über Mainz und Rotterdam nach Amerika zu emigrieren. In Wisconsin wollten sie eine Ackerbau-Genossenschaft bilden. Während der Bahnfahrt nach Mainz-Kastel trafen sie Dr. Ludolf, einen Lehrer an einer Zürcher „Musterschule“ des Reformpädagogen Friedrich Wilhelm August Fröbel, dem Begründer der Kindergärten. Liebknecht änderte daraufhin spontan seine Pläne und war 1847/48 Lehrer an dieser Schule. Er machte auch erste journalistische Erfahrungen als Korrespondent der „Mannheimer Abendzeitung“.
Die Auslösung der bürgerlichen Februarrevolution 1848 in Frankreich führte ihn nach Paris, wo er aktiv auf der Seite der Aufständischen an den revolutionären Kämpfen teilnahm.
Die Februarrevolution, die zum Sturz des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe von Orléans und zur Ausrufung der 2. französischen Republik führte, bildete den Funken für den Beginn der Märzrevolution in den Staaten des Deutschen Bundes; – dort zuerst im Großherzogtum Baden. Die badische Revolution war als regionaler Bestandteil der Märzrevolution diejenige, in der die mit am weitesten gehenden Forderungen nach Demokratie und sozialen Veränderungen zugunsten der sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten (im Wesentlichen Handwerksgesellen, Arbeiter und Bauern ohne Landbesitz) vertreten wurden.
Im September 1848 beteiligte sich Liebknecht am Aufstand des radikaldemokratischen Revolutionärs Gustav Struve im südbadischen Lörrach. Nach dessen Niederschlagung wurde Wilhelm Liebknecht verhaftet. Während seiner Gefangenschaft in Freiburg verliebte sich der damals 22jährige in die 6 Jahre jüngere Ernestine Landolt, eine Tochter des Gefängnisaufsehers, die 1854 Liebknechts erste Ehefrau werden sollte. Im Mai 1849 kam er nach etwa 7 Monaten Untersuchungshaft wieder auf freien Fuß, nachdem in der Bundesfestung Rastatt mit einer Meuterei der badischen Garnison am 11. Mai 1849 der badische Maiaufstand im Rahmen der Reichsverfassungskampagne begonnen hatte.
Liebknecht schloss sich während dieser letzten Phase der Märzrevolution der Badischen Volkswehr an. Als Leutnant im Mannheimer Arbeiterbataillon war er Adjutant Gustav Struves. Der Kampf der Revolutionäre für die im Grunde schon gescheiterte Reichsverfassung beinhaltete den Einsatz für die Anerkennung der demokratischen Veränderungen in einigen Staaten des Deutschen Bundes und die Verteidigung der nach der Flucht des Großherzogs Leopold von Baden am 1. Juni 1849 ausgerufenen badischen Republik gegen die von Norden und Westen anrückende konterrevolutionäre Armee. Diese wurde von preußischen Offizieren unter dem Oberkommando des Bruders von König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen angeführt, – dem bei den Revolutionären als Kartätschenprinz berüchtigten Wilhelm von Preußen, der 1861 zum preußischen König und 1871 zusätzlich zum ersten deutschen Kaiser Wilhelm I. ausgerufen werden sollte.
Exiljahre, Einfluss von Karl Marx (1849–1862)
Nach der Niederschlagung der Revolution durch preußische Truppen im Juli 1849 konnte sich Liebknecht einer Gefangennahme (die zu einer Hinrichtung hätte führen können) durch Flucht ins Exil entziehen. Er ging zunächst wieder in die Schweiz, wo er Präsident des Demokratischen Vereins in Genf wurde. Dort lernte er Friedrich Engels kennen, der ebenfalls als Beteiligter an der badischen Revolution vorübergehend in der Schweiz Zuflucht gefunden hatte.
Die Initiative zur Vereinigung der deutschen Arbeiterbildungsvereine in der Schweiz führte zu einer erneuten Verhaftung Liebknechts am 20. Februar 1850 in Murten, und zu seiner Ausweisung wegen „sozialistischer Umtriebe“ am 7. April des gleichen Jahres. Karl Marx warf 1860 in seiner umfangreichen Abhandlung „Herr Vogt“ dem gleichfalls aus Gießen stammenden Emigranten Carl Vogt vor, durch die denunzierende Formulierung vom „Revolutionstag in Murten“ zur Ausweisung beigetragen zu haben.
Über Frankreich kam Wilhelm Liebknecht nach England. In London trat er dem seit 1847 bestehenden und 1852 aufgelösten Bund der Kommunisten bei. Über diese Organisation traf er wieder auf Engels und kam in Kontakt mit Karl Marx, zu dem er auch eine persönliche Freundschaft aufbaute, die in den folgenden Jahren, noch während seiner Zeit im Exil, nicht unbelastet blieb. So schrieb Marx 1859 in einem Anflug des Zorns bezüglich des Disputs mit Liebknecht in einem Brief an Engels, in dem er sich polemisch-abwertend über Wilhelm Liebknecht äußerte: „… Liebknecht ist ebenso schriftstellerisch unbrauchbar wie er unzuverlässig und charakterschwach ist. Der Kerl hätte diese Woche einen definitiven Abschiedstritt in den Hintern erhalten, zwängen nicht gewisse Umstände, ihn einstweilen noch als Vogelscheuche zu verwenden …“
Dennoch vertiefte Liebknechts Kontakt zu Marx seine sozialistische Einstellung und prägte wesentlich auch seine nachfolgende politische Haltung, wobei er dem dialektischen Materialismus von Marx weiterhin eher distanziert gegenüber stand. Bei aller Annäherung an die marxistische Theorie legte Liebknecht seine radikaldemokratischen Wurzeln nicht ab. Demokratie ohne Sozialismus war für ihn keine wirkliche Demokratie, und Sozialismus ohne Demokratie kein wirklicher Sozialismus. Beides bedingte sich in seinen Augen gegenseitig.
Beschäftigung fand Liebknecht in England unter anderem als Privatlehrer und Korrespondent, wodurch er sich und seine Frau Ernestine, die er 1854 in London geheiratet hatte, notdürftig materiell über Wasser halten konnte.
Parteipolitische Organisierung der Sozialdemokratie (1863–1900)
Als 1862 durch eine Amnestie als Folge der Inthronisierung des preußischen Königs Wilhelm I. die Strafverfolgung für viele ehemalige 1848/49er-Revolutionäre aufgehoben wurde, kehrte das Ehepaar Liebknecht nach Deutschland zurück, wo sich Wilhelm Liebknecht zunächst in Preußen beim Aufbau der sozialdemokratischen Bewegung beteiligte. Neben seinem Engagement für die Arbeiterbildungsvereine verstärkte sich sein Einsatz für eine parteipolitische Organisierung der Arbeiterbewegung.
Konflikt mit dem ADAV; Ausweisung aus Preußen; Kontakt zu August Bebel
In Preußen wurde er 1863 Mitglied in dem auf Initiative von Ferdinand Lassalle neu gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV), der ersten als politische Partei organisierten Vorläuferorganisation der späteren SPD. Er arbeitete als Journalist unter anderem für das Zentralorgan des ADAV, die Zeitung „Der Social-Demokrat“, aber auch für bürgerlich-liberale Zeitungen wie die erst kurz zuvor gegründete „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“, deren Linie sich später in eine die Politik Bismarcks unterstützende und die Sozialdemokratie ablehnende Richtung wandeln sollte.
Bereits zwischen Lassalle und Liebknecht hatte es Differenzen um die Rolle des Staates, insbesondere der von Lassalle vertretenen vorrangigen Rolle Preußens im deutschen Staatenbund gegeben. Weitere Meinungsverschiedenheiten drehten sich um die Bedeutung von Reform oder Revolution auf dem Weg zu einer angestrebten sozialistischen Gesellschaft. Während Lassalle den allmählichen Weg zum Sozialismus durch Reformen innerhalb einer nationalstaatlich organisierten Gesellschaftsstruktur für möglich hielt und anstrebte, erwartete Liebknecht von Reformen bestenfalls eine teilweise, jedoch keine wirkliche Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse. Er setzte eine soziale und politische Revolution im Sinn einer von Marx postulierten historischen Notwendigkeit voraus, um zu einer grundlegenden Umwälzung der herrschenden Verhältnisse auf dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft zu kommen. Seiner Ansicht nach sollte die Sozialdemokratie darauf hinarbeiten, und die Arbeiterbewegung auf diese Revolution – nicht nur in einem nationalen Rahmen – vorbereiten. Dazu war für Liebknecht eine enge parteipolitische Bindung an die Gewerkschaftsbewegung, die zu jener Zeit noch in ihren Anfängen steckte, wichtig; wohingegen Lassalle der Organisationsform Gewerkschaft eher ablehnend gegenüber stand, und dagegen die Gründung von Produktivgenossenschaften favorisierte.
Nach Lassalles frühem Tod in Folge eines Pistolenduells aus privaten Hintergründen im Jahr 1864 spitzten sich die Auseinandersetzungen zwischen Liebknecht und der Partei zu. Schon 1865 wurde Wilhelm Liebknecht aus dem ADAV ausgeschlossen. Letzter Anlass für diesen Ausschluss war ein Konflikt, in den er mit dem Herausgeber des Social-Demokrat, Johann Baptist von Schweitzer, geriet, als Liebknecht die preußenfreundliche und kleindeutsch-nationalistische Ausrichtung des Blattes kritisierte, wegen der er schließlich die Redaktion verließ. Von Schweitzer, nach dem Tode Lassalles seit 1864 einflussreicher Funktionär des ADAV und von 1867 bis 1871 dessen autokratisch auftretender Präsident, hatte in Folge von Liebknechts Kritik dessen Parteiausschluss betrieben. Unmittelbar nach dem Ausschluss wurde Liebknecht auch aus Berlin und Preußen ausgewiesen, woraufhin er sich in Leipzig im Königreich Sachsen niederließ, und sich dort dem sächsischen Arbeiterbildungsverein anschloss.
Hier lernte er den 14 Jahre jüngeren August Bebel kennen, der sich unter Liebknechts Einfluss ebenfalls marxistischen Positionen annäherte. Zwischen Liebknecht und Bebel entwickelte sich in der Folgezeit nicht nur eine enge politische Zusammenarbeit, sondern auch eine lebenslange persönliche Freundschaft.
Beide waren sich einig in ihrer Ablehnung des preußischen Militär- und Polizeistaates und dessen Hegemoniestreben, seit 1862 unter der Ministerpräsidentschaft Otto von Bismarcks. Aus diesem Grund suchten sie Mitte der 1860er Jahre das Bündnis mit den süddeutschen Liberalen, die sich nach dem preußischen Verfassungskonflikt und der Indemnitätsvorlage Bismarcks bis 1868 zum Beispiel in der Deutschen Volkspartei (DtVP), einer linksliberalen Abspaltung der Deutschen Fortschrittspartei, sammelten. Die im Gegensatz zur anderen Abspaltung der Fortschrittspartei, der Bismarck-treuen Nationalliberalen Partei, in verschiedene kleinere Parteien zersplitterten Linksliberalen vertraten zwar nicht durchgehend eine reine Republik, sondern teilweise eine konstitutionelle Monarchie, – jedoch unter Einbeziehung Österreichs, also als großdeutsche Lösung mit föderalistischer Struktur und mit deutlich eingeschränkten Machtbefugnissen für die regierenden Monarchen und Fürsten. Mit der Zusammenarbeit war die Hoffnung verbunden, den reaktionären Einfluss Preußens einzudämmen.
Von der Sächsischen Volkspartei zur SDAP; Opposition gegen den Krieg, Festungshaft
Zusammen mit Bebel initiierte Liebknecht am 19. August 1866 die Gründung der Sächsischen Volkspartei, die eine Allianz zwischen den zunehmend sozialistisch ausgerichteten Arbeiterbildungsvereinen und antipreußischen Linksliberalen in Sachsen bildete. Im Jahr darauf wurden Bebel und Liebknecht als Abgeordnete dieser Partei in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt, wo sie, ab 1868 gemeinsam mit der Deutschen Volkspartei (DtVP), gegen die Regierung Bismarcks und die Vorherrschaft Preußens opponierten.
In dieser Zeit überschattete der Tod von Liebknechts Ehefrau Ernestine († 1867) sein Privatleben. Sie war an Tuberkulose, damals auch als „Schwindsucht“ oder „Proletarierkrankheit“ bezeichnet, erkrankt und innerhalb kurzer Zeit im Alter von 35 Jahren daran verstorben. Aus der Ehe waren zwei Töchter (Alice und Gertrud) hervorgegangen. Im Jahr darauf, 1868, heiratete Wilhelm Liebknecht erneut. Seine zweite Frau Natalie, geborene Reh (* 1835, † 1909), bis dahin eine Freundin der Familie, und über den gleichen Urgroßvater Johann Georg Liebknecht eine entfernte Verwandte Liebknechts, war die Tochter des letzten Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49, Jacob Ludwig Theodor Reh und seiner Ehefrau Caroline Theodore Louise Weidig. Natalie Liebknecht brachte in den Folgejahren Theodor (*1870) und Karl (*1871) sowie drei weitere Söhne zur Welt. Karl Liebknecht sollte zwischen 1914 und 1919 als Gegner des Ersten Weltkrieges und KPD-Mitbegründer eine eigene historische Bedeutung erlangen.
1869 wurde die Sächsische Volkspartei aufgelöst; ihr dominierender linker Flügel ging in der überregionalen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) auf, die auf Initiative Liebknechts und Bebels in Eisenach gegründet wurde und ein eindeutiges sozialistisches Programm erhielt. In den Folgejahren wurden die Anhänger der SDAP in Abgrenzung zu den Unterstützern des „preußisch-sozialdemokratischen“ ADAV, den „Lassalleanern“, auch „die Eisenacher“ genannt.
Nach dem Deutschen Krieg von 1866 war mit dem Sieg Preußens über Österreich bis 1867 der Deutsche Bund aufgelöst und mit dem Zusammenschluss der Fürstentümer nördlich der Mainlinie der Norddeutsche Bund unter preußischer Vorherrschaft gebildet worden, wodurch Österreich seine schon seit dem Ende des Krimkriegs im Jahr 1856 bröckelnde Vorherrschaft im zentralen Mitteleuropa zugunsten Preußens endgültig eingebüßt hatte. Bei dieser Entwicklung stellte sich in der parlamentarischen Praxis zwischen 1867 und 1869 heraus, dass sich das Ziel einer „großdeutschen“ Reichseinigung zerschlagen und damit auch das Zweckbündnis zwischen Linksliberalen und Sozialisten in der Sächsischen Volkspartei erübrigt hatte; – zumal die regierungskritischen Parteien im Reichstag zu zersplittert waren, um den starken Fraktionen der Konservativen und der Nationalliberalen Partei, die Bismarcks Politik stützten, ernsthaft etwas entgegen zu setzen. Die Reichstagsmandate der Sächsischen Volkspartei gingen auf die SDAP über.
Liebknecht gab das Parteiorgan der neu gegründeten SDAP, „der Volksstaat“, heraus. Die SDAP erklärte sich zur deutschen Sektion der 1864 in London gegründeten Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), die heute auch als „erste Internationale“ der Arbeiterbewegung bezeichnet wird.
Nach Beginn des deutsch-französischen Krieges im Jahr 1870 ergriff Liebknecht öffentlich Stellung gegen diesen Krieg, enthielt sich aber am 19. Juli 1870 unter dem zur Vorsicht mahnenden Einfluss Bebels gemeinsam mit ihm bei der Reichstagsabstimmung über einen Kredit für den Krieg gegen Frankreich. Beide betrachteten nicht nur Bismarcks Politik als gegen die Interessen der Arbeiter gerichtet, sondern auch die des französischen Kaisers Napoléon III.. Am 26. November desselben Jahres lehnten sie einen weiteren Kriegskredit ab. Liebknecht und Bebel erklärten 1871 ihre Solidarität mit der Pariser Kommune und sprachen sich gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen aus. In Folge ihres entsprechenden reichskritischen Engagements wurden beide 1872 beim „Leipziger Hochverratsprozess“ zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt, die sie in der Hubertusburg in Wermsdorf absaßen. Liebknechts und Bebels Opposition gegen den Krieg und ihre internationalistische Orientierung verfestigte den vom regierungstreuen Lager lancierten Ruf der Sozialdemokratie als „vaterlandslose Gesellen“ im Kaiserreich, – ein Ruf, der der SPD bis zum Ersten Weltkrieg, – und in nationalistisch-konservativen, insbesondere in reaktionären Kreisen auch darüber hinaus anhaften sollte.
Nach seiner Haftentlassung wurde Liebknecht 1874 nach 3 Jahren Unterbrechung erneut als Abgeordneter der SDAP in den Reichstag des nunmehr (seit 1871) Deutschen Kaiserreiches gewählt.
Vereinigung der SDAP mit dem ADAV zur SAP; Sozialistengesetz
Wilhelm Hasenclever (1837 - 1889), letzter Präsident des ADAV1875 vereinigte sich die SDAP in Gotha mit dem ADAV unter dessen letztem Präsidenten Wilhelm Hasenclever zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Die Vereinigung der bis dahin in Konkurrenz zueinander stehenden sozialdemokratischen Parteien war möglich geworden, nachdem mit der Reichsgründung von 1871 und der mit ihr geschaffenen politischen Fakten die Hauptgründe für die Rivalität weggefallen waren, die wesentlich in unterschiedlichen Auffassungen zur nationalen Frage und zur Haltung gegenüber der Vorherrschaft Preußens in den deutschen Staaten gelegen waren. Außerdem hatte der bereits 1871 in Folge von Vorwürfen der Korruption und heimlicher Absprachen mit der Regierung erfolgte Rücktritt des antimarxistischen ADAV-Vorsitzenden Johann Baptist von Schweitzer den Weg zur inhaltlichen Annäherung und schließlich Vereinigung der beiden Parteien frei gemacht.
Diese Fusion der „Eisenacher“ mit den „Lassalleanern“ wurde von Karl Marx aus London wegen der anpasslerischen Haltung an den eher reformorientierten ADAV im Gothaer Programm der SAP kritisiert. Obwohl Wilhelm Liebknecht an der Ausarbeitung des Parteiprogramms, das einen Kompromiss darstellte, beteiligt war, konnte er Marx’ Kritik in ihrem Wesensgehalt teilen, stand aber aus pragmatischen Gründen, vor denen er der Einheit der sozialistischen Bewegung eine Priorität einräumte, dennoch hinter dem Zusammenschluss von SDAP und ADAV, und verteidigte letztlich den von ihm mitverantworteten Kompromiss. In der von Liebknecht und Hasenclever 1876 neu gegründeten Parteizeitung „Vorwärts“ setzte er sich später als einer der beiden gleichberechtigten Chefredakteure für die Durchsetzung der marxistischen Theorie in der vereinigten Partei ein.
Reichskanzler Otto von Bismarck hatte die Partei von Anfang an als „Reichsfeind“ eingestuft. Nach zwei innerhalb weniger Wochen im Mai/Juni 1878 verübten erfolglosen Attentaten auf Kaiser Wilhelm I., die Bismarck fälschlicherweise und wider besseres Wissen den Sozialdemokraten anlastete, setzte dieser Mitte Oktober 1878 im Reichstag das Sozialistengesetz durch („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“).
Während der Gültigkeit des jährlich verlängerten und nur leicht modifizierten repressiven Sozialistengesetzes waren bis 1890 die Aktivitäten der Sozialdemokratie, ihre Unterorganisationen, Veröffentlichungen und Versammlungen außerhalb des Reichstags und der Landtage verboten. In ihren Hochburgen, so etwa in Berlin, Leipzig, Hamburg oder Frankfurt am Main, wurde zeitweilig der sogenannte Kleine Belagerungszustand verhängt, der es beispielsweise erlaubte, sozialistische „Agitatoren“ aus der Stadt auszuweisen. Eine der wichtigsten Publikationen der SAP jener Zeit, Der Sozialdemokrat, erschien unter der Redaktion von Paul Singer ab 1880 zunächst in Zürich, ab 1887 dann in London, und wurde illegal im Reich verbreitet.
Trotz der Repressionen wuchs die SAP unter Liebknecht und Bebel zu einer Massenpartei heran. Zwischen 1881 und 1890 steigerte sich der Stimmenanteil der Sozialdemokraten bei den Reichstagswahlen um über 450% (von knapp 312.000 Stimmen auf mehr als 1,4 Millionen). Auch die für ihre Zeit moderne Sozialgesetzgebung des Reichskanzlers, mit der er durch Verbesserungen in der sozialen Absicherung der Arbeiterschaft dieser Entwicklung entgegen wirken wollte, konnte den Trend der Solidarisierung einer breiten Wählerschaft mit der Sozialdemokratie im Ergebnis nicht aufhalten.
Im Reichstag nahm Liebknecht kein Blatt vor den Mund und nutzte seine Stellung als Abgeordneter, um die Regierungspolitik Bismarcks scharf zu kritisieren. Da er außerhalb des Reichstags im Deutschland jener Zeit keine Möglichkeit hatte, legal in der Öffentlichkeit aufzutreten, und in Folge der Sozialistengesetze auch viele deutsche Sozialdemokraten in die Nachbarstaaten emigriert waren, reiste er viel und sprach auf verschiedenen sozialistischen Kongressen, so zum Beispiel in Frankreich, der Schweiz, England und auch in den USA.
Gründung der Sozialistischen Internationale
Nach der Spaltung der Internationalen Arbeiterassoziation im Jahr 1872 und deren bis 1876 erfolgten Auflösung aufgrund des Konflikts zwischen dem anarchistischem Flügel um Michail Bakunin und dem marxistischen Flügel um Karl Marx war es nach Marx’ Tod 1883 Liebknechts Bestreben, zu einer neuen Einheit der internationalen Arbeiterbewegung zu kommen. Darin war er sich mit Friedrich Engels, der Marx´ ideelles Erbe übernommen hatte, und mit dem Liebknecht weiterhin in engem Kontakt stand, einig.
Bei der Gründung der Sozialistischen Internationale 1889 in Paris, an der Liebknecht einen maßgeblichen Anteil hatte, war die SAP trotz ihrer Unterdrückung im eigenen Land zur einflussreichsten sozialistischen Partei der Welt geworden. Allein 85 Teilnehmer des Gründungskongresses dieser Zweiten Internationale vom 14. Juli bis 20. Juli 1889, an dem insgesamt etwa 400 Delegierte aus 20 Staaten versammelt waren, waren aus dem Deutschen Reich; unter ihnen neben August Bebel und Eduard Bernstein auch Carl Legien als ein Vertreter der deutschen Gewerkschaftsbewegung, und mit Clara Zetkin eine bekannte Vertreterin der sozialistischen Frauenbewegung, zu jener Zeit Exilantin in Paris. Liebknecht leitete die deutsche Delegation und war zusammen mit dem französischen Sozialisten Édouard Vaillant Vorsitzender des Kongresses. Unter anderem wurde dabei in Erinnerung an die Todesopfer des 1886 im US-amerikanischen Chicago gewaltsam niedergeschlagenen Streiks und Arbeiteraufstands (vgl. Haymarket Riot) die Einführung des Ersten Mai als „internationaler Kampftag der Arbeiterklasse“ beschlossen. Damit sollte vor allem die Forderung/Durchsetzung des Achtstunden-Arbeitstages für die Lohnarbeiter eine größere und kraftvollere Gewichtung erhalten.
Konstituierung der SPD - 1890er Jahre
Bei den Reichstagswahlen im Februar 1890 wurden die Sozialdemokraten mit 19,7 % der Stimmen zur wählerstärksten Partei im Reich, erhielten aber nur 35 der 391 Reichtagsmandate. Bedingt durch verschiedene Benachteiligungen, beispielsweise bei der Wahlkreiseinteilung, waren dies weit weniger Sitze, als ihnen nach heutigem Maßstab (unter den Bedingungen der demokratischen Normen der Bundesrepublik Deutschland) zuerkannt würden.
Nach dem Rücktritt, faktisch der Entlassung Bismarcks als Reichskanzler durch den seit 1888 amtierenden Kaiser Wilhelm II. am 20. März 1890 setzte sich in der neuen Regierung die Einsicht durch, dass die Sozialistengesetze die Sozialdemokratie nicht geschwächt, sondern eher noch gestärkt hatten. Unter dem neuen Reichskanzler Leo Graf von Caprivi wurde die letzte Neuvorlage des Sozialistengesetzes am 30. September 1890 abgelehnt, wodurch auch dessen regelmäßig angenommene Vorlagen bis dahin außer Kraft gesetzt wurden.
Nach Aufhebung der Sozialistengesetze wurde die SAP 1890 auf dem Parteitag in Halle umbenannt in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die diesen Namen bis heute beibehalten hat – trotz vieler programmatischer Veränderungen seither.
Die Linie der neuen SPD erhielt im Erfurter Programm von 1891 in ihrem von Karl Kautsky entworfenen theoretischen Teil zunächst wieder eine von Liebknecht geforderte deutlichere marxistische Ausrichtung, während der von Eduard Bernstein verfasste praktische Teil schon eine Anpassung an parlamentarische Verhältnisse und Möglichkeiten andeutete.
Als Chefredakteur der Parteizeitung Vorwärts (nach dem Verbot zwischen 1878 und 1890 im Jahr 1891 wiederbegründet) und als Abgeordneter trat Liebknecht auch in seinem letzten Lebensjahrzehnt als Anhänger eines internationalistischen Marxismus auf und kritisierte aus dieser Haltung heraus vehement den von Preußen dominierten deutschen Militarismus im Allgemeinen, vor allem die unter Wilhelm II. forcierte Aufrüstung des Reiches im Verbund mit einer expansiven Außenpolitik – hierbei die Flottenpolitik des Kaisers im Besonderen: Liebknecht griff den Ausbau der kaiserlichen Marine als ein sinnloses Prestigeprojekt des Monarchen an, das zudem eine Provokation für die vorherrschende See- und Weltmacht Großbritannien darstellte, und aus der Sicht der damaligen SPD die Gefahr eines imperialistischen Weltkrieges heraufbeschwor. Dementsprechend bekämpfte Liebknecht auch den sich seit Mitte der 1880er Jahre verstärkenden Kolonialismus bzw. Imperialismus, und lehnte die Errichtung der von der Regierung euphemistisch als „Schutzgebiete“ bezeichneten deutschen Kolonien, z.B. in Afrika und im Südpazifik, ab.
1896 wurde Liebknecht als 70-Jähriger wegen „Majestätsbeleidigung“ noch einmal zu einer 4-monatigen Haftstrafe verurteilt, die er im Berliner Gefängnis Plötzensee absaß. Zum Ende seines Lebens wandte sich „der Alte“ (wie Liebknecht zu dieser Zeit von vielen SPD-Mitgliedern in anerkennendem Respekt vor seiner Lebensleistung genannt wurde) gegen die innerhalb der Partei aufkommenden reformistischen Tendenzen, die durch ein Thesenpapier Eduard Bernsteins die Revisionismusdebatte ausgelöst hatten.
Wilhelm Liebknecht starb am 7. August 1900 im Alter von 74 Jahren in Berlin-Charlottenburg. An seiner Beisetzung auf dem seitdem so bezeichneten „Sozialistenfriedhof“ im heutigen Berliner Stadtteil Lichtenberg nahmen zwischen 120.000 und 150.000 Menschen am Trauerzug teil – zumeist Arbeiter und Anhänger der SPD. Noch mehr Trauernde säumten als Spalier des Zuges die Straßen Berlins. Liebknechts Beerdigung war der Hintergrund für die größte Massenversammlung in Berlin seit dem Tode Kaiser Wilhelms I. zwölf Jahre davor. Sie war eine Huldigung an den „Soldaten der Revolution“ (eine während des Leipziger Hochverratsprozesses geäußerte Selbstbezeichnung Liebknechts), als der er von vielen in Erinnerung an die Märzrevolution betrachtet wurde – und zugleich eine Demonstration für Liebknechts Hauptinhalte und Ziele: Frieden zwischen den Völkern und die Befreiung der Arbeiterklasse.
Wilhelm Liebknecht gilt zusammen mit Ferdinand Lassalle und August Bebel als einer der bedeutendsten frühen Anführer der deutschen Sozialdemokratie mit auch internationalem Renommée.
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